Ich bin lesbisch
Liv Gro war mit einem tollen Mann verheiratet und zusammen hatten sie zwei wundervolle Kinder als sie mit Anfang 30 feststellte, dass dieses Leben nicht mehr richtig war. Denn Liv ist lesbisch.
Frauen sind auch attraktiv
Es war eine sehr verwirrende Zeit für Liv Gro, weil sie zuvor niemals darüber nachgedacht hatte, dass sie vielleicht lesbisch sei. Gleichzeitig konnte sie dieses Gefühl, dass sie nicht mehr in ihre Familie passte, aber auch nicht ignorieren.
Sie sagt selbst, dass es nicht einfach über Nacht passierte, sondern, dass es ein fließender Prozess war. Sie hatte niemals das Gefühl gehabt, dass ihr etwas fehlte oder den Gedanken, dass sie irgendein Gefühl verdrängt hätte. Wie das Leben nun mal ist, ist es aber so gekommen, dass sie langsam merkte, dass Frauen auch attraktiv sind.
Dieser Gedanke war sowohl schön und aufregend als auch furchterregend und Liv Gro war eine Zeit lang sehr unglücklich deswegen.
Sie wollte auf keinen Fall ihre Kinder oder ihren Mann verletzen, mit dem sie seit 15 Jahren zusammen war.
Aber als erst sie sich auf diesen Gedankenweg eingelassen hatte, gab es kein Zurück mehr. Ihr war nämlich auch schnell klar, dass sie nicht bisexuell ist und deswegen gab es auch nie die Möglichkeit mit ihrem Mann zusammenzubleiben. Gleichzeitig hatte sie aber auch keine Frau getroffen, in die sie sich verliebt hatte und es gab daher keine „Andere“ in ihrem Leben, wofür sie ihren Mann verlassen wollte.
Das Outen gegenüber ihrem Mann
Es war extrem hart sich in dieser Situation zu befinden und heute ist Liv Gro glücklich, dass all das überstanden ist. Als das Gefühlschaos begann, war sie zunächst auf ihren Körper wütend und sie hatte das Gefühl, dass ihr Körper sie im Stich ließ, weil sie Männer nicht mehr attraktiv fand.
Aber es war natürlich auch genau dieses Gefühl, welches dazu geführt hat, dass die Ehe für sie und ihren Mann nicht haltbar war.
Nachdem Liv Gro sich selbst gegenüber eingeräumt hatte, dass es kein Zurück gab, musste sie es ihrem Mann erzählen und dieser Teil war das absolut Schlimmste. Es war einfach nur furchtbar ihm erzählen zu müssen, dass sie jetzt auf Frauen stand, weil sie instinktiv wusste, dass er das Gefühl haben würde, dass sie ihm gegenüber niemals ehrlich gewesen war. Und so war es ganz bestimmt nicht gewesen.
Sie wusste natürlich auch, dass wenn sie sich erstmal geoutet hatte, gab es kein Zurück und dieser Gedanke machte ihr ebenfalls Angst.
Die Reaktion der Kinder
Die Kinder mussten auch erfahren, dass ihre Eltern jetzt kein Paar mehr waren, und nach einer Weile musste Liv Gro ihnen erzählen, dass sie jetzt eine Freundin statt eines Freunds hatte. Darüber haben die Kinder eigentlich nur geschmunzelt und dann haben sie sich nicht weiter geäußert.
Es war Liv Gro aber auch immer sehr wichtig, dass ihre Kinder alle Fragen stellen durften, die sie haben sollten und dass sie als Familie immer offen und ehrlich über alles reden konnten. Ihr war natürlich auch klar, dass mit der Zeit wahrscheinlich mehr Fragen auftauchen würden, indem die Kinder älter werden würden und die Situation besser verstehen konnten.
Das Outen in einem späten Alter
Wenn man mit Anfang 30 sich outet, gibt es viele Menschen, die sich wundern. Hat sie etwas verheimlicht? Hat sie ihren Mann angelogen?
Liv Gro betont mehrmals, dass dies nicht der Fall war. Sie kann jedoch vollkommen verstehen, dass man dies denkt, aber sie hat zu keinem Zeitpunkt in ihrem Leben zuvor das Gefühl gehabt etwas zu verheimlichen – weder sich selbst oder ihrem Mann gegenüber. Es war immer für sie das Richtige gewesen, dass sie geheiratet und ihre Kinder bekommen haben. Das wird sie niemals bereuen.
Es ist aber auch so, dass sie sich aufgrund ihres späten Outings immer wieder outen und sich aufs Neue erklären muss, welches anfangs anstrengend war. Heute ist dies aber kein Problem für sie. Die Schule ihrer Kinder musste es ebenfalls erfahren und obwohl es eigentlich niemanden auf der Arbeit anging, war es hart, dass ihre Situation auch hier immer wieder besprochen wurde.
Das Outen gegenüber ihren Eltern und Freundinnen
Es war für Liv Gro auch sehr schwer ihren Eltern ihre neue Lebenssituation erklären zu müssen. Einerseits waren ihre Eltern traurig, dass ihre Tochter sich scheiden ließ und dann kam noch „diese Situation“ hinzu. Es hat etwas gedauert, bevor sie ihre Tochter verstanden haben und wie Liv Gro es selbst sagt, dann hätte sie vielleicht auch selbst mehr tun können, um ihre Eltern in dem Prozess zu beteiligen.
Liv Gro hatte sich anfangs auch viele Gedanken dazu gemacht, welche Konsequenzen es haben würde, wenn sie sich vor ihren Freundinnen outen sollte. Besonders bzgl. den Freundinnen, die sie bereits seit der Kindheit und Jugend gekannt haben. Würde es für sie ein Problem sein sich vor Liv Gro umzuziehen? Würden sie Liv Gro anders betrachten, weil sie jetzt nicht mehr an Männer interessiert war?
All diese Sorgen waren aber zum Glück nicht berechtigt und heute lacht sie selbst darüber, dass sie überhaupt diese Gedanken hatte.
Eine neue Welt
Weil Liv Gro mit ihrem Exmann zusammen gewesen war, seitdem sie 18 Jahre alt war, war es natürlich eine Weile her, dass sie sich in der Dating-Welt befunden hatte. Es war nicht der Plan, dass sie eine Partnerin oder neue Familie suchte, sie wollte einfach Menschen treffen, die sich in einer ähnlichen Situation befanden.
Ihr erster Gedanke war daher, dass sie ausgehen musste, um neue Menschen kennenzulernen und dies hat sie dann getan. Hier hat sie viele interessante Menschen getroffen, aber sie musste sich auch eingestehen, dass sie vor Allem viele junge Menschen traf und diese Strategie war daher nicht die Richtige für sie.
In ihrer Suche nach Gleichgesinnten hat Liv Gro eine Fernsehreihe gefunden, wo eine Frau erzählte, dass sie sich in der genau gleichen Situation befand, wo Liv Gro jetzt stand. Die Frau hatte sich ebenfalls spät geoutet und ihren Mann verlassen, mit dem sie Kinder hatte, und diese fremde Frau hat alle Gefühle perfekt in Worte gefasst. Endlich konnte sich Liv Gro spiegeln und sehen, dass sie nicht allein war.
Das Treffen mit Gitte
Liv Gro hat natürlich auch los gegoogelt, um herauszufinden, wo sie neue Menschen kennen lernen konnte, und dabei ist sie auf einen Sportverein für Homosexuelle gestoßen, wo u.a. Tanz angeboten wurde. Liv Gro hat eine Nachricht an den Verein geschrieben, um mehr darüber zu erfahren und hat von der Lehrerin Gitte eine Antwort erhalten.
Der Name Gitte war für Liv Gro ein Name, welcher der älteren Generation angehörte und deswegen hat sie ganz bestimmt nicht erwartet, dass sie bei ihrer ersten Tanzstunde ihre kommende Partnerin treffen würde.
Durch den Verein hat sie viele verschiedene Leute getroffen, mit denen sie ausging und sich im Privaten getroffen hat und so ist es passiert, dass die Beziehung mit Gitte sich entwickelt hat.
Gitte wusste immer, dass sie lesbisch ist und als sie und Liv Gro sich getroffen haben, war es daher auch sehr deutlich, dass die zwei Frauen sich in zwei sehr verschiedenen Situationen im Leben befanden. Gitte war es gewohnt allein zu leben und Liv Gro hatte neulich Haus und Mann verlassen, mit dem sie zwei Kinder hatte.
Letztendlich hatte all dies aber keinerlei Bedeutung und keiner der beiden hatte eine Wahl – sie mussten einfach zusammen sein.
Kinderwunsch
Liv Gro und Gitte sind jetzt seit 8 Jahren zusammen und vor 1,5 Jahren haben sie ihre kleine Tochter durch die Kinderwunschbehandlung mit Samenspende bekommen. Das Paar hat immer wieder darüber gesprochen, dass sie sich zusammen Kinder wünschen, aber sie hatten es damit nie eilig.
Die Situation mit Gitte ein Kind zu bekommen, hat sich für Liv Gro nicht anders angefühlt als damals mit ihrem Mann. Gitte ist ihre jetzige Partnerin genauso wie es ihr Mann damals war und der einzige Unterschied jetzt ist, dass beide Partner die Möglichkeit haben schwanger zu sein.
Für Liv Gro war es nicht wichtig, wer schwanger sein sollte, weil das Biologische für sie nie von Bedeutung war. Gleichzeitig hatte Gitte einen Wunsch schwanger zu sein, und weil Liv Gro ihre Schwangerschaften nicht wirklich genossen hatte, war es eine einfache Entscheidung.
Kinderwunschbehandlung mit Samenspende
Die Wahl des Samenspenders war auch kein Problem, denn auch hier waren sie sich schnell einig. Gitte war sehr systematisch beim Suchen und sie wünschten sich beide, dass der Spender „eine männliche Ausgabe“ von Liv Gro sein sollte. Die Kriterien bezogen sich daher auf das Aussehen, aber auch auf die Ausbildung und die Persönlichkeit, weil sie sich einen kreativen und sprudelnden Spender wünschten, so wie Liv Gro es ist.
Es fiel beiden Frauen leicht zu merken, ob die Chemie mit den Spenderprofilen stimmte oder nicht und es war eine sehr rührende Situation als sie sich für einen Spender entschieden haben.
Das Paar hat insgesamt 7 Inseminationsbehandlungen hier in der Diers Klinik versucht und nach den ersten 4 Behandlungen wurde ihnen dazu geraten, dass sie sich einen neuen Spender aussuchen, welches für Liv Gro sehr hart war.
Nachdem die 7 Versuche leider kein Glück mit sich brachten, hat das Paar die IVF-Behandlung begonnen, wonach Gitte im ersten Versuch zum Glück schwanger wurde.
Regenbogenfamilie
Liv Gros zwei große Kinder haben früh erfahren, dass Gitte schwanger war und dass sie ein kleines Geschwisterchen bekommen würden. Beide waren zunächst sehr glücklich und haben sich gefreut, aber danach waren sie auch verwirrt. Dies hing vor allem mit Kommentaren zusammen, welche sie in der Schule bzgl. biologischen Geschwistern erhalten haben, erzählt Liv Gro.
Heute werden die beiden teilweise immer noch damit konfrontiert, dass ihre kleine Schwester nicht ihre „richtige“ Schwester ist, aber Liv Gros Kinder wissen es zum Glück viel besser und lieben ihre kleine Schwester über alles.
Die Kinder haben jederzeit Fragen stellen können, falls sie etwas wissen wollten und zuhause bei Liv Gro haben sie immer sehr viel darüber gesprochen, dass „man Menschen lieben kann, obwohl man biologisch gesehen keine Verknüpfung hat“.
Rat an andere in der gleichen Situation
Liv Gro erzählt uns mehrfach, dass es für sie sehr schwierig war andere Frauen zu finden, in denen sie sich spiegeln konnte kurz nachdem sie sich geoutet hatte. Sie hatte das Gefühl, dass keine andere Frau sich in der gleichen Situation befunden hatte, wo Liv Gro sich jetzt befand. Nur die Frau aus der Fernsehreihe hatte eine ähnliche Geschichte, weil sie ebenfalls von ihrem Mann geschieden wurde, weil sie lesbisch war.
Deswegen war Liv Gro auch sofort bereit ihre Geschichte für unseren Blog zu erzählen, als wir sie gefragt haben. Es ist ihr sehr wichtig, dass andere sehen können, dass sie nicht allein sind und dass es ein Happy End geben kann, obwohl der Weg dahin steil ist.
„Aber man kommt an und je offener man über die Situation und Herausforderungen spricht, umso besser schafft man den Weg. Dies gilt im Übrigen für alle Perspektiven im Leben“.
Als wir Liv Gro fragen, was sie Frauen raten würde, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, wo sie sich nicht sicher sind, ob sie den richtigen Platz im Leben haben, antwortet sie folgendes:
Es gibt keinen Weg zurück
Wenn man sich erstmal in der Zweifelsphase befindet, ist es nur eine Frage der Zeit, wann man sich selbst gegenüber ehrlich ist. Dies kann ein langer Prozess sein, aber es gibt keinen Weg zurück – Wage den Sprung!
Sei besonnen
Die Situation ist für die meisten eine ziemlich unmögliche, aber Liv Gro kann nur dazu raten, dass man versucht, so besonnen wie möglich an die Sache ranzugehen. Versuche die andere Seite zu sehen und sei dem gegenüber offen, dass es für andere schwierig sein kann die Situation zu verstehen. Vergiss nicht dich auf andere zu verlassen, die dich unterstützen – du bist nicht allein!
Therapie
Für Liv Gro war Therapie ein wichtiger Teil, um gut durch die Zeit zu kommen. Sie war mit ihrem Exmann in Paartherapie, damit sie alles besprechen und als Familie gestärkt auf der anderen Seite stehen konnten.
Fasse Mut!
Jetzt wo Liv Gro auf der anderen Seite steht, sagt sie, dass die komplette Reise mit allen Höhen und Tiefen und all den Gefühlen, die dazugehören, es Wert war.
Sie hofft, dass sie anderen Frauen mit ihrer Geschichte Mut machen kann, wenn sie sich noch in der Zweifelsphase befinden. Mut, um das Abenteuer zu beginnen und das Richtige zu tun.